Naturschutz

Im Zuge eines Radwegebaus gefällter Trägerbaum der besonders geschützten und in der Region Küste vom Aussterben bedrohten Blattflechte Linden-Schüsselflechte (Parmelina tiliacea)
Flechten und ihre Lebensräume wurden und werden durch Änderungen der Kulturlandschaft in vielfältiger Weise beeinflusst. Ein frühes Zeugnis damit verbundener Folgen für die Artenvielfalt ist der Bericht von Heinrich Sandstede aus dem Jahr 1950. Seine Aufzählung könnte bis in die Gegenwart mit unzähligen Fällen ergänzt werden.
Heute besteht jedoch eine Naturschutzgesetzgebung, die zumindest auf dem Papier weitreichende Möglichkeiten des Flechtenschutzes ermöglicht. Sie entfaltet allerdings kaum eine Wirksamkeit, da weder Entscheidungsträger noch die interessierte Öffentlichkeit oft keine Kenntnisse über vorkommende Arten und die rechtlichen Bestimmungen haben. Im Folgenden möchten wir auf den zweiten Aspekt eingehen.
Zunächst ist festzustellen, dass sich der Flechtenschutz nicht nur auf das Artenschutzrecht der §§ 44 und 45 BNatSchG erstreckt, sondern Eingriffsvorhaben oder Projekte (§§ 13 ff. bzw. § 34 Bundesnaturschutzgesetz) einschließt und zudem für die Landschaftsplanung (§§ 8 ff.) und das Schutzgebietsmanagement (§ 20 ff.) von Bedeutung ist. Auch durch den Naturschutz selbst können Lebensräume von Flechten durch unterlassene oder falsche Pflegemaßnahmen geschädigt und vernichtet werden.
Um beurteilen zu können, ob z.B. ein Eingriff, eine Pflegemaßnahme oder ein sonstiges Vorhaben im Bereich potenzieller Flechtenlebensräume mit den Rechtsnormen vereinbar ist, bedarf es einer hinreichenden Datengrundlage. Genauso selbstverständlich, wie heute Biotoptypenkartierungen oder in bestimmten Biotopen Erfassungen einzelner Tierarten durchgeführt werden, um belastbare Bewertungen vornehmen zu können, sollte ein vergleichbarer Auslösemechanismus für die Durchführung von Flechtenerfassungen zum Einsatz kommen. Eine vorläufige Liste der Biotoptypen, in denen Flechtenvorkommen betroffen sein können, haben wir auf Grundlage des in Niedersachsen verwendeten Kartierschlüssels für Biotoptypen (DRACHENFELS 2020) im Hinblick auf die in der Region vorkommen Einheiten zusammengestellt. Hieraus kann eine mögliche Betroffenheit von Flechten und die Notwendigkeit ihrer Erfassung abgeleitet werden.
Nach dem Vorliegen von Bestandsdaten ist zu prüfen, ob Flechtenarten vorkommen, die dem besonderen Artenschutzrecht des BNatSchG unterliegen. Die in der Bundesartenschutzverordnung (BArtSchV) verzeichneten und in Niedersachsen vorkommenden Flechtenarten sind hier aufgeführt. Die meisten der verzeichneten Arten können auch im Nordwesten auftreten.
Sofern besonders geschützte Arten ermittelt wurden, sind die Bestimmungen des § 44 BNatSchG zu beachten. Einige Aspekte, die hierbei von Bedeutung sein können, haben wir im Abschnitt "Artenschutzrecht" zusammengestellt.
Einige der besonders geschützten sowie zahlreiche nicht geschützte Arten sind auch im Bestand gefährdet. Deren Vorkommen sind für die Einstufung der Schwere einer Beeinträchtigung des Schutzguts Biologische Vielfalt im Rahmen der Eingriffsregelung von Bedeutung. Für die Abschätzung von Wirkungen eines Vorhabens sind die jeweiligen Roten Listen des Landes Niedersachsen und des Bundes zu berücksichtigen.
Neben der biologischen Vielfalt bildet die Leistungs- und Funktionsfähigkeit des Naturhaushalts einen Kern der Ziele des Naturschutzes und der Landschaftspflege (§ 1 BNatSchG). Sie muss im Rahmen der Eingriffsregelung (§ 14 (1) BNatSchG) berücksichtigt werden. Die Fähigkeit der Flechten, als Bioindikatoren für Klima und Luftqualität zu fungieren, ist seit Langem bekannt und vielfach belegt. Neben der Einstufung bestehender klimatischer und lufthygienischer Bedingungen kann mit Hilfe der vorkommenden Arten auch prognostiziert werden, inwieweit sich Veränderungen des Geländeklimas oder der Luftqualität ergeben können, die im Sinne der Eingriffsregelung zu beachten sind. Methoden zur Anwendung der ökologischen Zeigerwerte im Rahmen der Eingriffsregelung befinden sich in der Entwicklung. Einige Aspekte dazu haben wir hier zusammengestellt.
In der Abbildung sind die erforderlichen Verfahrensschritte zusammengefasst, wobei die Verknüpfung des besonderen Artenschutzrechts mit der Eingriffsregelung über die Bestimmungen des § 44 (5) BNatSchG besonders hervorzuheben ist. Ferner müssen innerhalb der Eingriffsregelung wechselseitige Einflüsse zwischen dem Schutzgut Biologische Vielfalt sowie klimatischen und lufthygienischen Bedingungen betrachtet werden.

Quellen:
- BArtSchV - Bundesartenschutzverordnung vom 16. Februar 2005 (BGBl. I S. 258, 896), die zuletzt durch Artikel 10 des Gesetzes vom 21. Januar 2013 (BGBl. I S. 95) geändert worden ist
- BNatSchG - Bundesnaturschutzgesetz vom 29. Juli 2009 (BGBl. I S. 2542), das zuletzt durch Artikel 1 des Gesetzes vom 4. März 2020 (BGBl. I S. 440) geändert worden ist
- DRACHENFELS, O. v. (2020): Kartierschlüssel von Biotoptypen in Niedersachsen unter besonderer Berücksichtigung der gesetzlich geschützten Biotope sowie der Lebensraumtypen von Anhang I der FFH-Richtlinie. Stand: Februar 2020. - Naturschutz und Landschaftspflege in Niedersachsen A/4
- SANDSTEDE, H. (1950): Veränderungen in der Flora unserer engeren Heimat. Oldenburger Jahrbuch 50: 304-311