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Bioindikation

Flechten als Bioindikator von Luftverunreinigungen und des Klimas

VDI-Flechtengitter

Monitoring der natürlich vorkommenden Flechten an Baumborke mit Hilfe des "VDI-Flechtengitters" (Passives Bioindikationsverfahren)

Anders als mit Geräten lassen sich auch mit bestimmten Pflanzen (Bioindikatoren) Luftverunreinigungen messen. Physikalische Messgrößen der Schadstoffbelastung wie z.B. Mikrogramm pro Kubikmeter oder °C werden dabei zwar nicht bereitgestellt, die an den pflanzlichen Bioindikatoren ermittelten Veränderungen stehen aber hiermit in direktem Zusammenhang und geben darüber hinaus Auskunft über die biologischen Wirkungen. Auch der geringe Kostenfaktor hat in vielen Ballungsräumen Europas zu einem regelmäßigen Einsatz standardisierter Bioindikationsverfahren (Biomonitoring) geführt, die in mehreren VDI – Richtlinie dokumentiert sind (s.u).

Die oft auf Baumborken wachsenden "epiphytischen" Flechten zählen generell zu Bioindikatoren von Luftverunreinigungen und des sich ändernden Klimas. Die Flechten-Symbiose stellt generell ein sehr umweltsensibles Gleichgewicht dar, dass bei erhöhter Schadstoffbelastung am Stamm freistehender Baumstämme sehr schnell zusammenbrechen kann und die Flechte abstirbt.

Die Schadstoffempfindlichkeit unter den ca. 1.800 Flechtenarten Deutschlands ist sehr unterschiedlich. Einige epiphytische Arten sind so schadstoffempfindlich, dass sie mittlerweile nahezu ausgestorben sind und nur noch in entlegenen Regionen Europas vorkommen. Hierzu zählen die auffälligen Bartflechten, die noch vor ca. 100 Jahren auch von den Bäumen des Oldenburger Umlandes herabhingen.

In der Zeit höchster Belastungen vorwiegend saurer Immissionen der 1970 und 1980er Jahre besiedelten nur noch sehr wenige Krustenflechten die Baumstämme oder fehlten in den Zentren der großen Industriegebiete Europas sogar vollständig. In den "Flechtenwüsten" des Ruhrgebietes wurde das "aktive" Biomonitoring entwickelt. Dabei werden Flechten aus gering belasteten Regionen auf Holztafeln befestigt und über einen mehrmonatigen Zeitraum im Belastungsgebiet aufgestellt. In den nachfolgenden Wochen lässt sich anhand des fotografisch dokumentierten Absterbegrades auf die Höhe der Immissionsbelastung schließen. Die nach den Vorgaben einer VDI-Richtlinie verwendete Blasen-Flechte (Hypogymnia physodes) erweist sich auch gegenüber Ammoniak als empfindlich, wodurch der Einsatz dieses Verfahrens heute noch in landwirtschaftlich geprägten Räumen und auch von Stickoxiden betroffenen Städten von Bedeutung ist. Flechtenexpositionstafel

Modifizierte Flechtenexpositionstafel zur Ermittlung der Absterberate (Aktives Biomonitoring) im Botanischen Garten Oldenburg

In den aktuell noch vergleichsweise hoch belasteten Räumen Deutschlands finden sich fast immer Flechten an Bäumen und Sträuchern, unter ihnen weniger empfindliche Vertreter der Blattflechten und der Krustenflechten. Die Zusammensetzung unterschiedlich empfindlicher Flechtenarten an mehreren freistehenden Bäumen bietet somit gute Dienste zur Einschätzung der Luftbelastung. Die genaue Verfahrensweise zur Kartierung von Flechten zur Ermittlung der Immissionsbelastungen findet sich ebenfalls in einer VDI-Richtlinie.

Die Zunahme stickstoffliebender Flechtenarten in der Stadt und auf dem Land weist auf den großräumigen Anstieg der Stickstoffimmissionen im Nordwesten hin. Aber auch zahlreiche wärmeliebende Arten, die noch vor wenigen Jahrzehnten nur in südlichen Regionen anzutreffen waren, treten zunehmend in Erscheinung. Auffälligste Vertreter sind die beiden großblättrigen Gelbschüsselflechten (Flavoparmelia caperata, F. soredians). Sie fehlen in Nordwestdeutschland heute fast in keiner aus älteren Bäumen bestehenden Allee.

Autor: Dr. Karsten Mohr karsten.mohr@o2mail.de

Quellen:

  • VDI 3957 Blatt 1:2020-02 Biologische Messverfahren zur Ermittlung und Beurteilung der Wirkung von Luftverunreinigungen auf Pflanzen (Biomonitoring) - Grundlagen und Zielsetzung
  • VDI 3957 Blatt 8:2015-07
    Biologische Messverfahren zur Ermittlung und Beurteilung der Wirkung von Luftverunreinigungen (Biomonitoring) - Flächenbestimmung epiphytischer Flechten und Moose zum Nachweis von Umweltveränderungen
  • VDI 3957 Blatt 13:2005-12
    Biologische Messverfahren zur Ermittlung und Beurteilung der Wirkung von Luftverunreinigungen mit Flechten (Bioindikation) - Kartierung der Diversität epiphytischer Flechten als Indikator für Luftgüte
  • VDI 3957 Blatt 20:2017-07
    Biologische Messverfahren zur Ermittlung und Beurteilung der Wirkung von Luftverunreinigungen (Biomonitoring) - Kartierung von Flechten zur Ermittlung der Wirkung von lokalen Klimaveränderungen
  • VDI 3957 Blatt 21:2019-07
    Biologische Messverfahren zur Ermittlung und Beurteilung der Wirkung von Luftverunreinigungen (Biomonitoring) - Ermittlung phytotoxischer Wirkungen von Immissionen anhand der Exposition der Blattflechte Hypogymnia physodes